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Der Wolf auf der Wiese

Datum: 28.10.2021
Von: Claudia Kreier

Erschrocken bei der Überschrift? Richtig reagiert. Genau auf diesen Effekt haben unsere Urahnen gesetzt, als sie manchen Pflanzen Namen wie „Gelber Wolfseisenhut“ gegeben haben. Der „Wolf“ im Namen soll abschrecken, denn der Wolfseisenhut ist eines der giftigsten Gewächse, das in Europa wächst. Es gibt noch mehr botanische Schätze auf den Almwiesen rund um die Kampenwand im Chiemgau, darunter auch viele gute, heilkräftige. Und keine Sorge: Einen Wolf gibt es nicht.

Jungkühe haben uns etwas voraus, sagt Kathrin Thaurer. Die Bäuerin aus Aschau nimmt regelmäßig Gäste mit auf ihre Blumenwanderungen an der Kampenwand. „Die Tiere können riechen, ob ihnen eine Pflanze schadet oder nicht. Wenn über eine Almwiese die jungen Kühe drübergezogen sind, bleiben die giftigen Blumen stehen. Wenn aber die Wiese gemäht und der Schnitt zu Heu verarbeitet wird, nehmen die Tiere den Geruch nicht mehr wahr. Das kann gefährlich werden. Eines der vielen Dinge, die man als Bäuerin wissen muss“, sagt die 56-Jährige mit einem Augenzwinkern.

Ohne Hege und Pflege gäbe es die Almen nicht

Vor 18 Jahren entstand in Aschau die Idee, den Urlaubsgästen das Leben der Bäuerinnen im Priental nahezubringen. „Wir haben festgestellt, dass immer andere über uns und unsere Arbeit reden, aber nie wir selbst“, erinnert sich die Aschauerin. „Es ist ja nicht nur, dass wir wissen müssen, was giftig ist und was gesund. An unserer Arbeit hängt so viel dran. Allein die Almen, die bei unseren Gästen so unglaublich beliebt sind. Es gäbe sie nicht ohne unsere Hege und Pflege. Dass die Landschaft der Chiemgauer Berge so aussieht, wie sie aussieht, ist der jahrhundertelangen schweren bäuerlichen Arbeit zu verdanken.“ Für den Gast ist eine Alm jedoch eine der schönsten Einkehrmöglichkeiten, die es gibt. Auf der Wanderung mit Kathrin kommt man an einigen vorbei: Gorialm, Möslarn Alm, Steinlingalm. Die Sonnenalm heißt so, ist aber schon ein richtiger Berggasthof, der das ganze Jahr geöffnet ist.

Gleich neben dem Wolfeisenhut wächst der Seidelbast, ebenfalls sehr giftig. Ein paar Schritte weiter zeigt sich die Natur von ihrer freundlicheren Seite. Kathrin zeigt auf ein gefächertes Blatt, in dessen Mitte sich ein Tropfen gebildet hat. „Das ist kein Tau oder Regen. Das erzeugt der Frauenmantel selbst. Er zieht die Flüssigkeit über die Wurzeln an und presst sie durch kleine Poren heraus. Gerade im Morgenlicht sieht das sehr hübsch aus, wie eine Perle.“ Der Frauenmantel hat seinen Namen wegen der Form des Blattes, das an einen ausgebreiteten Mantel erinnert. „Hebammen schwören auf Frauenmantel“, berichtet Kathrin.

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»Der Frauenmantel hilft in allen Lebenslagen der Frau. Es gibt ganze Bücher über die Heilkraft dieser Pflanze. Man kann die jungen Blätter beispielsweise im Salat verwenden.«

Kathrin Thaurer, Wanderführerin

Ohne eine kundige Begleitung auf der Almwiese gehen viele Menschen an den botanischen Besonderheiten einfach vorbei und sehen die kleinen Wunder nicht. Manchmal sind sie auch sehr klein und unscheinbar. Aber über fast alles, was links und rechts vom Weg wächst, kann Kathrin eine Geschichte erzählen.

„Hier zum Beispiel, der wilde Thymian, ein richtiger Lebenskünstler. Man muss sich doch fragen, wie eine Pflanze auf einem Stein wachsen kann. Wo nimmt die ihre Nährstoffe her? Der Thymian bildet jedes Jahr neue Triebe, die alten verrotten. Dadurch entsteht das Polster. Der Thymian macht sich sozusagen seinen eigenen Humus. Die Polster sind oft mehrere Jahrzehnte alt, und innen drin ist es warm. Ein richtiges kleines Mikroklima! Wenn man bei zehn Grad die Temperatur im Inneren des Polsters misst, kann das schon 25 Grad haben. Das würde man doch nie denken, wenn man am wilden Thymian vorbeigeht, oder?“ 

Genau diese Besonderheiten sind es, die Kathrin faszinieren und die sie auch mit Herzblut und Leidenschaft an die Teilnehmerinnen ihrer Wanderungen weitergibt. „Die Chiemgauer Alpen sind meine Heimat, und ich erzähle gerne den Leuten, was wir für eine besondere Natur haben. Und dass da ganz schön was dranhängt. Es ist keine Selbstverständlichkeit."

Geführte Wanderungen „Bauernland und Bauersleut“

Acht Aschauer und Sachranger Bäuerinnen und Landfrauen haben zum Start ihrer Führungen 2004 die Geschichte ihrer Höfe recherchiert. 500 Jahre sind die Anwesen alt, und teilweise noch älter. Daraus haben die engagierten Frauen ein ganzes Programm an Führungen und Wanderungen gestaltet. Sie greifen die Themen der Landwirtschaft und ihren Alltag als Bäuerinnen und Landfrauen auf anschauliche Weise auf. Die Führungen heißen etwa „Milch-Roas“ oder „Mit Christine durch das Bergdorf Sachrang“ und finden regelmäßig statt. Alle Informationen stehen unter www.bauernland-und-bauersleut.de.

Geführte Wanderungen „Bergblumen und Bergg‘schichten“

Alpenblumen blühen nur kurze Zeit, aber die Aschauer und Sachranger Bauernlandlerinnen haben einen langen Atem. Schon seit elf Jahren sind sie jede Woche zwischen Juni und Oktober auf der Kampenwand und begeistern ihre Gäste für die Fauna und Flora auf 1500 Metern Höhe.

Jeden Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag um 11 Uhr
Treffpunkt: An der Bergstation der Kampenwandbahn
Dauer: 1,5 Stunden
Preis: 5 Euro, Kinder frei
Festes Schuhwerk und wetterfeste Kleidung nötig.

 

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